Das ist eine Geschichte, die eher was für Russen ist. Wer also an Russophobie leidet, sollte vielleicht eher diese Geschichte über Antalya lesen.
„Antalya ist in den letzen zwei Jahren zu einem Ort der warmen Begegnungen geworden“, sagte Ilyas, der mich am Bazaar von Kaleiçi kurz zuvor um 500 Lira ärmer gemacht hatte – für einen mutmaßlich traditionellen Tee, den ich niemals trinken würde und der mich darüber hinaus vielleicht auch ein bisschen high gemacht hat. Ich fand Ilyas einfach cool – er hatte einen warmherzigen Vibe. Er lebte seit 15 Jahren in Antalya und kam ursprünglich aus Kasachstan. Auch im Moskau lebte er einige Zeit, wie er mir erzählte.
Ilyas gewann mein Vertrauen mit seinen ehrlichen, lieben Augen und seiner sanften, freundlichen Stimme. Geschichten wie meine hörte er oft. Seit es Russen verboten wurde, in etliche europäische Länder einzureisen – und es in Migration lebenden Russen mit, beispielsweise, deutschen Pässen, extrem erschwert wurde, nach Russland einzureisen, wurden sämtliche Familien auseinandergerissen. Antalya – und die Türkei im Allgemeinen – wurde dadurch zu einem regelrechten Zufluchtsort für Russen. Hier vereinten sich Familien und konnten sich nach den schmerzvollen Jahren ohneeinander wieder in den Armen liegen, weinen, die Hände halten, bis zu den Tränen lachen und miteinander melancholisch sein, so wie ihre zarten, wenn auch unzerstörbaren Gemüter es verlangen.
Omas Augen brechen mir das Herz
Noch heute Morgen sah ich meine Mutter die Rolltreppe hochrollen, die sie zu der Passkontrolle führen würde. „Wir sehen uns in … Deutschland“, sagte ich. Meine Mutter verstand, worauf ich hinaus will. Ich blieb noch ein Paar Tage in Antalya. Ich als Helicopterenkelin würde es nämlich nicht zulassen, dass meine geliebte Oma auch nur eine Stunde allein durch den fremden Airport umherirrt. Ich wollte sie bis zum Gate begleiten – sie jedoch ließen mich nicht. Also tat ich alles in meiner Macht stehende und nicht stehende, um ihren Flug zurück nach Russland so angenehm und stressfrei wie nur möglich zu gestalten – natürlich erfolgreich.
Als meine Mutter diese Treppe also hinauffuhr, sagte Oma zu mir: „Lass sie uns begleiten – mit den Augen.“ Wir sahen hinauf zu ihr. Dann sah ich rüber zu meiner Babushka. Ihre hellgrauen Augen blickten noch immer meiner Mutter nach. Sie hatten einen Ausdruck, als werde ihr gerade ihr geliebtes Kind gewaltsam entrissen. Und dennoch bargen sie neben all dem Schmerz auch eine tiefe Akzeptanz. Einen Frieden, der die Seele in Starre versetzt. Ich fragte sie, ob sie in Ordnung sei, wie ich dies in den letzten drei Tagen tausendfach tat. Sie antwortete kurz und in einer etwas höheren Tonlage als gewohnt, während sie zur Seite nickte: „Ja.“ Wir gingen, als Maman außer Sichtweite war.
Ich weine im Hotel, während draußen die Sonne lacht
Während wir uns auf den Weg zum anderen Terminal machten, gab ich mir alle Mühe, dass Babushka mein vor Schmerz verzerrtes, nasses Gesicht nicht sah. Dafür sahen es alle anderen Passagiere. Sie verstanden mich aber. Auch während ich diese Zeilen in mein Tablet reinschmettere, verläuft mein Maskara über Wangen, Mund und Nase. Es schüttelt mich regelrecht.
Während ich hier auf dem Bett des Hotels „Frankfurt“ sitze, brennt draußen die Sonne und die wenigen November-Touristen schlendern tiefenentspannt durch die historischen Straßen der Stadt. Auch ich tat dies bereits. Ich trank xxx Tassen türkischen Çay, rauchte Shisha und schlenderte durch Kaleiçi. Ich musste dringend zurück ins Hotel, um mein Handy zu laden.
Eine ganz kurze Erklärung zum Artikelbild: Logischer wäre es natürlich, ein Bild vom Flughafen zu nehmen. Ästhetischer und bedeutsamer finde ich es jedoch, einen Sonnenuntergang zu nehmen, den wir uns gemeinsam als Familie angesehen hatten.
Ich müsste es in mehrere Sitzungen lesen, weil ich immer wieder geweinte.