In Manila hat bereits vor einigen Stunden die Dämmerung eingesetzt. Ich laufe wie immer relativ planlos durch die Straßen und werde von den bunten Lichtern vorbeifahrender Jeepneys geblendet. Lärm, Staub und kein fühlbares Anzeichen für Gefahr. Das entspannt mich in der Tiefe und ich befinde mich in meiner euphorischen Phase, in der ich die Stadt mit allen Sinnen einatme und eins mit ihr werde. Manches hier erinnert mich sogar an Vietnam. Das fast kindliche Interesse der Einheimischen, die kleinen schmalen Häuschen und natürlich diese warme Luftfeuchtigkeit, die mir das Gefühl gibt, mit ihr bereits in einem längst vergangenen Leben vereint gewesen zu sein.





Langsam fühle ich, dass ich Hunger habe. So richtig ans Essen habe ich mich hier noch nicht getraut. Immerhin ist das mein erster Abend auf den Philippinen und ich tu mich grundsätzlich schwer damit, Neues zu probieren. Bis mein Bus in Richtung Baler kommt, werden noch fünf Stunden vergehen. Also lasse ich mich von meiner Intuition treiben und laufe durch die nächtliche Menschenmenge. Dann gehe ich in eine Essbude, die sauber aussieht. Hier servieren sie Longsilog. Ein Frühstück, dass man sich hier zu jeder Tageszeit und beinahe überall holen kann: Knoblauchreis, zwei Spiegeleier, Würstchen, Ketchup. Handy laden verboten. In meiner Unsicherheit, ob mir der Akku bis zum Busbahnhof reichen würde, scrolle ich nervös durch Tiktok. Bis ich mich von zwei großen Augen beobachtet fühle.
Philippinos: Das schönste Lächeln der Welt
Ich setze von meinem Handy ab und erblicke ein zartes kleines Mädchen, das neben meinem Tisch steht und mich aus vollem Herzen anlächelt. Die Menschen auf den Philippinen haben das schönste Lächeln der Welt. Ich kann euch nicht sagen, warum. Und es liegt nicht zwingend daran, dass die aller meisten von ihnen einfach schneewüstenweiße Zähne haben. Es ist mehr als das. Sie lächeln dir direkt in die Seele und du kannst gar nicht anders, als es ebenfalls zu tun.
Das kleine Mädchen, nicht älter als sechs, redet mit mir in ihrer Sprache, mischt aber ein paar englische Wörter dazu. Sie sagt „money“ und deutet auf ihren Mund. Das Kind hat Hunger. Ohne Zögern schütte ich ihr alles, was sich in meinem Portemonnaie befindet, in die ausgestreckten Hände. Sie bedankt sich, zieht von dannen. Dann bleibt sie vor der Essbude stehen, dreht sich noch mal um und schenkt mir das süßeste Lächeln, das ich auf dieser Reise sehen würde.
Habe ich ein Kind in Schwierigkeiten gebracht?
Wieder voller Fokus auf Tiktok. Ich schneide mein erstes Manila-Video und schlürfe den köstlichen Kalamansi-Juice, den mir die freundliche junge Frau hinter der Theke empfohlen hatte. Dann höre ich einen Schrei. Ich springe auf. Es ist das kleine Mädchen. Ich sehe, wie ein Junge sie gegen den Baum drückt. Er hat sogar Verstärkung mitgebracht. Sie schreit erneut auf, lacht aber diesmal. Ich bin maximal verwirrt. Gemischte Signale kann ich überhaupt nicht deuten, habe aber stark das Gefühl, dass ich erst mal nicht dazwischengehen sollte. Dennoch halte ich mich bereit und bin mit den Augen und den Gedanken beim Baum da draußen. Er fordert von ihr das Geld, das ich ihr eben gab und versucht ihr in die Hosentasche zu greifen. Sie jedoch kann sich verteidigen und macht sich schnell aus dem Staub.
Mir wird richtig schwarz vor Augen. Was hab ich getan? Hat meine impulsive Fürsorge das Mädchen in Schwierigkeiten gebracht? Irgendwie will ich weinen, muss mich aber ordnen und wenigstens etwas aus der Situation lernen. Ich sitze also da und starre in die Leere. Es vergeht einige Zeit. Dann stehe ich auf und gehe.
Ein kurzer Spaziergang durch das nächtliche Manila
Wieder laufe ich durch die Straßen, durch die Menge. Ich komme an einem Gemüse- und Fischmarkt an. Manche Jungs dort wollen mit mir Selfies machen. Unter einer Bedingung mache ich mit: Im Gegenzug kriege ich auch ein Selfie mit ihnen. Sie sind einverstanden und strahlen freundlich in meine Frontkamera. Ich kaufe mir eine richtig verrückte rote Sonnenbrille am Straßenrand, weil ich meine verloren habe.







Ich scheine das rege Treiben zu verlassen und mein Bauchgefühl sagt mir: Lauf da nicht weiter rein ins Dunkle. Ich höre darauf und biege ab. Wieder Menschenmengen. Die einen warten auf ihren Jeepney, die anderen sitzen gelangweilt hinter ihren üppig dekorierten Obstständen, die dritten drängen sich aneinander vorbei und bleiben mit einem Grinsen stehen, wenn sie mein osteuropäisches Gesicht entdecken, das nicht so ganz zum sonnengeküssten Rest zu passen scheint. Mein Rucksack ist scheiße schwer, ich bin müde und will einfach nur noch ein Nickerchen im Bus machen.
Neue Begegnung mit Straßenkind: Geht meine neue Strategie auf?
In Gedanken versunken spüre ich warme feuchte Händchen an meinem Arm. Diesmal steht ein Junge im Vorschulalter vor mir und schaut zu mir herauf. So ein süßer Bengel. Aber es hat die Augenbrauen zusammengezogen und gibt mir den bösen Blick, obwohl die Händchen sich ganz sanft an mir festhalten. „Give me money!“, fordert er. Ich aber meine, aus meinem vorherigen Fehler gelernt zu haben. Und sage: „I can buy you food. What would you like to eat?“ Er lässt von meinem Arm ab und versucht in die Tasche zu greifen, die ich außer dem blöden Rucksack mit mir rumschleppe. Eigentlich ist er gar nicht blöd, ich hatte ihn bei jedem Städtetrip quer durch Europa dabei, deshalb hänge ich auch so sehr an ihm. Aber ich lenke ab.
Ich ziehe vorsichtig seine Hand aus meiner Tasche und sage streng: „Nooo“, und schüttle langsam meinen Kopf. Bevor ich wiederholen kann, dass ich gewillt bin, ihm etwas zu Essen zu kaufen, haut er ab und ruft mir, als würde er mich ein wenig beleidigen wollen, „American […]“ zu. Ich habe das zweite Wort akustisch nicht verstanden, war aber überrascht, dass ich für ihn wie eine Amerikanerin aussah. Ich lief weiter, gähnte zwischendurch und entschied, dass das meine neue Strategie werden würde, wenn die Kinder von Manila wieder Geld von mir fordern sollten. Ob es aber eine richtige ist, weiß ich jedoch bis heute nicht.
Schau hier auch vorbei: Das ist ein Eindruck, den ich in Baler hatte, der mir die Augen öffnete.
- NEU: Alle meine Reiseabenteuer gibt es seit neuesten Ereignissen auch als im Videoformat auf Tiktok.
- Alle Bilder unterliegen dem Copyright von avecMadlen.com
- Das Titelbild stellt keine Straßenkinder dar und dient lediglich als Symbolbild 🙂