Da stand ich nun vor dem Spiegel. Ich trat näher. Ganz nah, bis ich nur noch mein Gesicht erblicken konnte. Suchend nach der Makellosigkeit, die meine Mutter immer wieder darin fand. Ich fragte mich, wo sie diese sah. Dann schaute ich mir tief in die Augen. Sie waren so wie immer, aber nicht wiederzuerkennen. Ich trat erschrocken zurück.
Tänzelnd vor dem Spiegel betrachtete ich das Gesamtbild. Dann wurde die Frau im Spiegel wieder völlig ernst. Sie schaute seriös, dann wieder voller Seelenschmerz, dann machte sie mir Rehaugen und wurde wieder ernst. Ich merkte, dass die Frau im Spiegel innerlich lacht. Ob über mich oder etwas anderes – wohl eher über mich, ja. Ich erschrak und wich erneut zurück.
Ich suchte Schutz vor ihren durchdringenden Blicken hinter dem Türrahmen und bemerkte jetzt erst meinen rasenden Puls. Mit wurde klar, dass ich diese Frau nicht kenne. Aber sie zieht mich magnetisch an und sie ist immer da – ich sehe sie nur nie. Oder eben nur in Spiegeln. Ich musste mich sammeln. Doch ich hatte Angst, wieder aus der Tür hervorzukommen und ihren Blick aufs Neue über mich ergehen zu lassen. Aber ich musste.
Also ging ich an ihr vorbei zum Lichtschalter. Ein flüchtiger Blickkontakt verriet, dass sie meine Angst genauestens roch. Sie schien mir, als würde sie ihre Erkenntnis zu ihrem Vorteil nutzen wollen. Die Frau im Spiegel schnitt eine satanische Grimasse. Nun erreichte ich auch schon den Lichtschalter. Als nächstes müsste ich auch noch in der Dunkelheit an ihr vorbeischreiten.
Ich weiß, dass sie jetzt auch da ist. Sie lebt. Im Bett liegend sah ich ihren Schatten über die Wand wandern. Sie war nicht ich, denn ich lag regungslos auf einer Stelle. Als sie bemerkte, dass ich sie wieder sehe, ging sie aus dem Zimmer zurück in meine Gedanken und tauchte als einäugiger, grau befellter Vierbeiner auf und schrie in einem klirrenden Ton, den nur ich hören konnte.
Ein kleiner Kommi zu der „Frau im Spiegel“

Was soll ich zu meiner Verteidigung sagen? Ich war bekifft, nehme ich mal an. Ich konnte mich lange Zeit nicht mit der Frau im Spiegel anfreunden, weil ich sie nicht so gut kannte, wie es mir lieb gewesen wäre. Dann änderte sich das langsam. Diese Geschichte entstand im Jahr 2018 – dem Jahr, in dem auch „die Verschmelzung“ entstand. Ich hatte wirklich Spaß daran, mich kreativ auszuprobieren und meinen Dämonen zu erlauben, meinen Körper und meinen Geist zu verlassen. Dann wuchs mir kruzerhand das alles über den Kopf.
Habe ich mir einen abgegruselt, als ich diese Geschichte runtergetippt habe? JA!
Mittlerweile gehe ich mit meinen Dämonen anders um. Naja. Wirklich? Weiß ich nicht genau. Nach wie vor schreibe ich – jedoch bin ich der Realität, was auch immer sie ist, viel näher als damals. Momentan benutze ich das Zeichnen als Dämonen-Ventil. Denn ich zeichne derzeit – Achtung – Dämonen. Macht irgendwie Bock. Bilder zeig ich hier demnächst dann auch.